Meine Suchtgeschichte – Teil 3
In diesem letzten Teil zu Drogen und Sucht will ich abschliessend meine Sicht auf Drogen, Sucht und den gesellschaftlichen und politischen Umgang damit etwas erläutern. Um meine Suchtgeschichte geht es hier weniger…
Ich vertrete eine sehr eigene Meinung zu Drogen und vor allem dazu, wie wir als Gesellschaft damit umgehen und ecke damit oft an – aber das tue ich sehr gerne. Ich bin immer wieder erstaunt und fast etwas erschrocken, wie wenige Menschen sich wirklich mit diesem Thema auseinandersetzen. Auseinandersetzen wollen… Wie wenige die rote Pille wählen.
Ich bin klar der Meinung, dass wir gerade mit unserer Leistungsgesellschaft und unserer besitz- und statusorientierten Lebensweise (und daraus resultierenden «Anforderungen» an Kinder… Menschen…) den Nährboden für Süchte schaffen und unsere Drogenpolitik sowie die Tabuisierung eine sinnvolle Prävention eher erschweren als fördern.
Ich gehe sehr offen damit um, was ich konsumiere… aber auch nicht unkritisch und man darf niemals alle Substanzen in denselben Topf schmeissen. Es gibt immense Unterschiede. Und das Beste finde ich, dass die legalen Drogen wie Alkohol und Nikotin – erwiesenermassen und durch Studien belegt – zu den gefährlichsten Substanzen überhaupt gehören. Wenn ich dann in Gesprächen mit beispielsweise Arbeitskollegen, die gerade stolz mit ihrem Alkoholkonsum vom vergangenen Wochenende prahlen, einwerfe, man möge sich mal vorstellen, besagte Person würde von Kokain oder Ecstasy sprechen, herrscht immer augenblicklich so eine witzige, betretene Stille. Aber mal von vorne…
Was ist eigentlich eine Droge?
Ich habe vor einiger Zeit das Buch «Rausch» von Gernot Rücker gelesen. Und seine Definition hat mich überzeugt. Sinngemäss bezeichnet er als Droge «eine Substanz, die den Gemüts- oder Geisteszustand in eine gewünschte Richtung verändert».
Somit kann der Begriff «Droge» sehr weit gefasst werden. Wenn im Allgemeinen von Drogen geredet wird, verstehen die meisten Menschen darunter die illegalen Substanzen. Ich verstehe darunter auch Alkohol, Nikotin, Koffein… diverse Arzneimittel wie Aufputschmittel, Beruhigungsmittel und auch Psychopharmaka erfüllen eigentlich auch dieselbe Funktion wie illegale Drogen… oder umgekehrt. Der einzige Unterschied ist, dass die einen Ihre Substanzen von einem Arzt verschrieben erhalten und sie von der Allgemeinheit finanzieren lassen und die Anderen sie auf illegalem Wege beschaffen – und somit weniger gesellschaftliche Akzeptanz erfahren. Doch das ist auch gerade alles was sie unterscheidet. Alle Konsumenten dieser Substanzen tun dies im Endeffekt, um sich gut zu fühlen, um funktionieren zu können, um mit Traumata oder sonstigen psychischen Lasten klarzukommen.
Gehen wir noch einen Schritt weiter – auch in Anlehnung an Gernot Rücker – kennst du die Szene mit dem Elternteil und dem kleinen Kind, das quengelt und schreit, weil es nicht kriegt was es will… und dann kriegt es etwas Schokolade und schon ist Ruhe im Karton. Es gibt ja die ganz wilden Theoretiker, die die Auswirkungen von Schokolade, resp. von Zucker auf das Dopaminsystem mit der von Kokain vergleichen. Kann ich nicht beurteilen, aber hier wird eindeutig dem Kind eine Substanz verabreicht, die dessen Gemütszustand in eine gewünschte Richtung verändert.
Du machst Sport, um dich gut zu fühlen… um dich zu beruhigen… um nach einem stressigen Arbeitstag runterzukommen… ok, heisses Eisen, den Sport mit einer Droge gleichzusetzen. Aber der Sport kann eindeutig dieselbe Funktion erfüllen. Er kann Sinn im Leben stiften, Ablenken, beruhigen…
Nach dieser Definition gibt es also sehr viele Drogen. Wir können auch einfach aufhören, den Begriff «Droge» negativ zu werten. Uns wird beigebracht, dass Drogen etwas Schlechtes sind… müssen sie das sein? Oder betrachten wir sie einfach negativ, weil wir Drogen mit Problemen gleichsetzen? Was war zuerst, das Problem oder die Droge? …vielleicht hilft der nächste Abschnitt weiter…
Was ist Sucht?
Das eine ist die Substanz, das andere die Sucht danach. Was ist genau eine Sucht? Hier bediene ich mich gerne der Definition des Suchtbegriffs von Dr. Gabor Maté. Er bezeichnet Sucht als «eine Verhaltensweise, die man weiterführt, die man nicht lassen kann und will, obwohl sie den Betroffenen selbst und/oder sein Umfeld schädigt».
Ok, nun können wir Sport definitiv in die Reihe der Drogen aufnehmen. Wie viele Sportler stellen ihren Sport über das Wohl ihrer Familie… machen mit dem Sport weiter, obwohl sie verletzt sind?
Und so kann man andererseits auch regelmässig illegale Substanzen konsumieren und dennoch nicht süchtig danach sein… und zum anderen kann man gesellschaftlich völlig akzeptierten Tätigkeiten nachgehen und sich sowie sein Umfeld damit massiv schädigen…
Workaholic? Kaufsucht? Sportsucht? Wenn man das mal so ansieht, wird das Thema ziemlich spannend, nicht!?
Gehen wir zurück zum Kind, das Schokolade kriegt, um sich zu beruhigen. Ob das Kind so wohl lernt, mit negativen Emotionen umzugehen?
Suchtpersönlichkeit…Suchtgehirn?
Wieso werden denn nun einige Menschen süchtig und andere nicht? Schon in meiner Zeit als jugendlicher Kiffer sagte ich immer «Ob jemand von einer Substanz abhängig wird, liegt nicht an der Substanz, sondern an der Person an sich, an den Gründen wieso diese Person eine Substanz konsumiert.» …es war das, was ich in meinem Umfeld wahrnehmen konnte. Ich habe viele Menschen gesehen, die mal eine Weile eine Substanz konsumiert haben und dann einfach wieder aufgehört haben… andere hörten nicht mehr auf… begannen irgendwann andere Substanzen zu nehmen.
Ich wusste damals noch nicht, wie recht ich haben sollte. Doch ich verlernte irgendwann, meiner Wahrnehmung und Intuition zu vertrauen. Die anderen mussten es besser wissen.
Im Buch «Im Reich der hungrigen Geister» von Dr. Gabor Maté hat sich mein damaliges Verständnis von Sucht bestätigt… und erweitert. An einer Stelle erwähnt er, dass eine sehr grosse Anzahl der US-Soldaten, die im Vietnamkrieg dienten, dort Heroin konsumierten… und dass 95 oder 98% davon, nach der Rückkehr aus dem Krieg einfach so, ohne Therapie oder sonst etwas, wieder aufgehört haben. Es war nicht die Substanz, es waren die Lebensumstände, die diese Soldaten haben zur Droge greifen lassen. Und sobald die Situation wieder «normal» war, sie also aus dem Krieg zurück waren, benötigten sie die Substanz nicht mehr.
…der Grund dafür, dass jemand süchtig wird, liegt laut Gabor Maté in der Persönlichkeit begründet. Die Substanz tut dann ihren Teil dazu, sie verändert das Gehirn… die Impulskontrolle wird schwächer und schwächer… nachhaltig. Und so findet dann jede «Suchtpersönlichkeit» ihre Substanz, die sie nicht mehr loslässt. Also ja, die Substanz kann sicher Süchtig machen. Doch der Ursprung ist nicht die Substanz, sondern die Persönlichkeit.
Und darum greifen Drogenprävention und Drogenentzug fast immer zu kurz. Der reine Drogenentzug ist eigentlich nur eine Symptombekämpfung. Und wenn ein Drogenentzug «erfolgreich» ist, geschieht einfach meist eine Suchtverlagerung… man muss beim Ursprung ansetzen. Bei der Persönlichkeit… bei dem, was die Persönlichkeit geformt hat.
Prävention vs. Verbot
Für mich ist hier die Gretchenfrage immer; macht es die Situation wirklich besser, dass Drogen verboten sind? Ich bin der Meinung, dass die Verbote kontraproduktiv sind. Das aus folgenden Gründen:
- Wer Drogen konsumieren will, tut das sowieso,
- Die Illegalität und Stigmatisierung führt aber eher dazu, dass jemand eher gehemmt sein könnte, ein Hilfsangebot in Anspruch zu nehmen.
- Menschen die eigentlich ein Problem haben und niemandem etwas zu leide tun würden, werden kriminalisiert.
- Drogenkriminalität existiert nur, weil die Drogen eben illegal sind. Stell dir vor, Drogen wären legal erhältlich, wie… Alkohol… existiert hier in Europa ein Schwarzmarkt für Alkohol? Alkholkartelle?
- Dadurch dass der Handel mit diesen Substanzen risikobehaftet ist, sind sie extrem teuer, was den Süchtigen rasch in die Beschaffungskriminalität treiben kann… oder in die Prostitution.
- Die Illegalität führt dazu, dass die Konsumenten gezwungen sind, Substanzen zu konsumieren, die tendenziell verunreinigt sind und haben dadurch ein hohes Risiko.
Und so weiter… ich könnte die Liste noch weiterführen. Aber wir sind hier auf einem Blog und dieser Artikel ist schon jetzt gigantisch. Ich bin ganz klar der Meinung, dass die Kriminalisierung mehr Probleme schafft, als sie löst. Und wenn wir uns noch anschauen, was der Krieg gegen die Drogen an finanziellen Mitteln und personellen Ressourcen bindet, muss man sich definitiv Fragen, ob das sinnvoll ist. Und nun kommt mein liebster Teil… das Gefahrenpotenzial der einzelnen Rauschdrogen. Bist du bereit?
Das Gefahrenpotenzial verschiedener Drogen
Schau dir mal die Arbeit von Prof. David Nutt an… wer ist David Nutt? Ich zitiere mal den Eintrag auf Wikipedia:
«David John Nutt ist ein britischer Psychiater und Psychopharmakologe und bekannt durch seine wissenschaftlich fundierten, aber drogenpolitisch umstrittenen Aussagen zu körperlichen und psychischen Folgen von Drogen.»
Aha… wissenschaftlich fundierte, aber drogenpolitisch umstrittenen Aussagen.
Also… wie jetzt… die wissenschaftlich fundierten Aussagen sind politisch umstritten…?!? Wollen die mir jetzt sagen, dass die Drogenpolitik gar nicht zwingend wissenschaftlich fundiert ist? Nein, ist sie definitiv nicht!
Auf Wikipedia findet sich eine wunderbare Grafik, in der er das Gefahrenpotenzial verschiedener Drogen darstellt. Ich lasse das Bild für sich sprechen…
Alkohol ist auf Platz eins! Spitzenreiter! Tötet die meisten seiner Konsumenten. Schlimmer als Heroin, Crack, Meth, Koks und Tabak… Tabak nimmt für sich Platz 6 in Anspruch! Nochmals: WISSENSCHAFTLICH fundiert, aber drogenPOLITISCH umstritten. Wollt ihr mich eigentlich verarschen?!?!?! Wieso sind Ecstasy und LSD… Substanzen die sogar therapeutisches Potenzial haben, verboten, während Alkohol, die tödlichste aller Drogen (die übrigens als einzige nicht physiologisch wirkt, also nicht an einen Rezeptor andockt, sondern den Rausch einzig durch Vergiftung herbeiführt) legal in jedem verdammten Supermarkt erhältlich… sogar an Tankstellen…!?!?
Unsere Drogenpolitik ist ein einziger Witz. Ich kann es nicht anders ausdrücken. Übrigens, diese Grafik findest du im Artikel zu Alkohol bei Wikipedia selbstverständlich nicht. Im Artikel zu MDMA (Ecstasy) ist sie abgebildet.
Ich lasse dich diesen Abschnitt selbst zu Ende denken. Über die Hintergründe… den Ursprung der aktuellen Drogenpolitik können wir ein andermal sprechen.
Nochmals Dr. Gabor Maté
Sinngemäss zitiert und massiv abgekürzt aus «Vom Mythos des Normalen»… Wenn ein an sich gesunder Organismus in einem Labor in seiner Kultur (biochemische Nährlösung zur Förderung der Entwicklung diese Organismus) nicht gedeiht, kommt kaum jemand auf die Idee, dass das am Organismus selbst liegt. Der Fehler wird eher in der Kultur gesucht. Gedeiht eine Pflanze nicht, suchen wir das Problem eher im Boden und in der Bewässerung (in der Kultur). Wird ein Tier krank, schauen wir, ob es die richtige Nahrung kriegt und ob das Umfeld stimmt.
Beim Menschen handhaben wir das irgendwie anders. Je «entwickelter» eine Gesellschaft (eine Kultur) ist, desto kränker sind die darin lebenden Menschen. Und hier geht es nicht nur um Fettleibigkeit, Herz-Kreislaufproblematiken und Diabetes… Psychische Erkrankungen wie Angststörungen und Depressionen sind die am rasantesten zunehmenden Diagnosen.
Vielleicht sollten wir doch eher mal unsere Kultur hinterfragen… und nicht den (süchtigen) Menschen an sich… und Sucht eher als ein Symptom betrachten… Vielleicht… nur ganz vielleicht…
Und nochmals ich… mein Fazit
Sucht kann verschiedene Formen annehmen und eine Fülle von Substanzen aber auch Verhaltensweisen können die Funktion einer «Droge» haben. So auch Sport… für mich… und ich kann nur für mich reden… schreiben… denn nur, was ich selbst erlebt habe, kann ich wirklich wissen… für mich hatte der Sport genau die Funktion einer Droge und ich habe mich damit fast kaputt gemacht. Und so kann ein Mensch sein Leben lang süchtig sein und dennoch «gut» leben… während ein anderer Mensch an seiner Sucht zu Grunde geht. Der Grat ist schmal.
Genau wie verschiedene Dinge die Funktion einer Droge haben können, haben unterschiedliche Substanzen eine völlig unterschiedliche Wirkung. Bei mir ist klar THC die gefährliche Droge, diejenige nach der ich süchtig bin und die mich gefangen hält in meinem alten Ich. Die mich von meinen Gefühlen trennt und meine Ent-Wicklung behindert… während MDMA mir die Türe geöffnet hat… mir ermöglicht hat, kurz aus dem goldenen Käfig herauszutreten und zu sehen, was da ist… wer ich sein kann, wenn ich frei von allem, von mir selbst bin… und zu erkennen, was meinen goldenen Käfig erbaut hat… und dann kam LSD und hat den Käfig einfach zerstört… und so den Weg zu meinem wahren, authentischen Sein freigemacht.